Historische Nachrichten
Lage & Architektur der Burg verweisen auf einen gesellschaftlich hochstehenden Bauherrn. In der Tat galten die Herren von Rettenberg im Hochmittelalter als das angesehenste, mächtigste und begütertste Geschlecht des Allgäus, das unter den ausdrücklich als solche beurkundeten Edelgeschlechtern durch Reichthum und Ansehen hervor ragt (Franz Ludwig Baumann, Geschichte des Allgäus, Band 1. Kempten 1883, 500). Dieses Geschlecht wird in den zeitgenössischen Urkunden als nobiles – als Edelfreie – betitelt, hatte folglich einen fast grafengleichen sozialen Status und findet sich folglich im direkten Umfeld der Welfen, Herzöge von Bayern sowie nach 1196 von deren Nachfolgern, den Staufern. Aus dem Stammhaus entsprangen im 12. & 13.Jhdt. bedeutende Seitenlinien wie die Herren von Trauchburg und die Herren von Hohenegg, die ihrerseits solch bedeutende Steinburgen wie (Alt-)Trauchburg, Hohenegg, Vilseck, Loch bei Pinswang, Nesselburg und Eisenberg errichteten.
Die Beurkundungen eines Adelprecht de Rotinberch im Jahr 1130 und eines Burchard von Rettenberg im Jahr 1140 belegen die frühe Existenz dieser Burg, da sich damals Adelige nach ihrem Sitz benannten. Ein hochrangiges Mitglied der Familie war Heinrich von Rettenberg, der sich im engen Gefolge von König Friedrich II. (1210-50) bewegte und wohl am Kreuzzug von 1228 teilnahm. Er dürfte für die zweite Ausbauphase der Burg verantwortlich sein.
Mit dem Erlöschen des Geschlechts der Rettenberger kamen Burg und Herrschaft 1351 an den Augsburger Bischof Marquard, was einen gravierenden Wandel in der Funktion und auch in der Architektur verursachte, denn fortan wurde R. zum bischöflichen Amtssitz eines Pflegers, d.h. eines Pflegamts. Verbunden mit einem Ausbau zur Unterbringung des vergrößerten Personals und aufwändigen Verwaltung musste die Burg mehrfach baulich instandgesetzt werden, so z.B. 1534 nach der Plünderung durch die Bauern (1525). Diese Baumaßnahmen mussten genau abgerechnet werden, wodurch sich detaillierte Beschreibungen der damaligen Burg erhalten haben. Auch die Absicht, die nunmehr schlossartig ausgebaute Burg nach einem verheerenden Brand im Jahr 1561 wieder aufzubauen, versorgt uns mit weiteren präzisen Infos zum damaligen Baubestand.
Der Burgnamen „Vorderburg“, der eigentlich das Gebiet unterhalb der Burg bezeichnet, übertrug sich erst nach 1905 fälschlicherweise auf die Burg selbst.
Baubestand
Der Baubestand der Burgruine ist bislang weder genau aufgemessen noch burgenkundlich mit den Methoden und dem Wissen der modernen Burgenforschung – der Castellogie – untersucht und analysiert worden. Es existieren zwar eingehende Beschreibungen, doch sind diese nicht fachkundig erstellt worden. Lediglich das Kunstdenkmälerinventar von 1964 liefert eine qualitätvolle, wenn auch nicht befriedigende Beschreibung (Michael Petzet, Die Kunstdenkmäler von Schwaben, Band VIII: Landkreis Sonthofen. München 1964, 951-953).
Diese Beschreibung enthält auch einen Grundriss, der allerdings nicht ganz exakt ist. Aktueller ist ein Grundriss, den Boris Blum 1992 angefertigt und 2012 überarbeitet hat. Doch auch dieser Grundriss fällt zu blockhaft bzw. schematisch aus für eine seriöse Bauforschung und Schadenskartierung, da exakte Einträge von Befunden nicht möglich sind.
Erhalten hat sich ein noch immer sehr eindrucksvolles, insgesamt etwa 27 m langes und mindestens 8 Meter hohes, gewinkeltes Fragment der einstigen West- und Nordwand, dessen Mauerwerk mitunter gewaltige Nagelfluhbrocken enthält.
Auffällig sind zahlreiche vertikale Fugen, die ältere und jüngere Bauphasen voneinander scheiden. So durchbricht ein älterer, 1.2 m breiter Mauerzug die Westwand. Sein Mauerwerk aus kleinen handlichen Quadern weist ihn als Bestand der Gründungsburg aus der Zeit um 1120 aus. Mauerwerk aus dieser Zeit steckt auch im Sockel der Nordmauer, wo sowohl an der Innenschale als auch im Füllwerk Fischgrätmauerwerk (auch „Ährenmauerwerk, sog. opus spicatum) erscheint. Diese Gründungsburg aus dem frühen 12.Jhdt. wurde offenbar im 13.Jhdt., 14.Jhdt. sowie nach 1534 durch Um- und Ausbauarbeiten stark überformt.
Nachdem die Burgruine im Frühjahr 2025 freigeholzt und entgrünt wurde, werden im Herbst 2025 ein digitales Aufmaß sowie eine Bestandsaufnahme und eine bauhistorische Bestandsanalyse angefertigt.
Text: Dr. Joachim Zeune 2025